2010 - 125 Jahre «Musikgesellschaft Obersiggenthal»
Blick in die Vergangenheit - historische Häppchen von Bernhard Schneider


Musikgesellschaft Obersiggenthal 1885


1885 Gemeinde Obersiggenthal, eine erwachende Landidylle
Die Gemeinde zählte 1.100 Einwohner. Schotterstrassen verbanden die Ortsteile. Das Wasser besorgte man sich von den Ortsbrunnen, die zugleich als Viehtränke dienten. Nicht einmal das Schulhaus Bachmatt verfügte über eine Zentralheizung, allerdings hatten Petrollampen die Kerzen- und Oellichter abgelöst. Seit 1858 befand sich in Rieden die Firma Oederlin, die einigen Vereinsgründern Arbeit bot. Beachtlich ist, dass von 1883 bis 1890 sieben Vereine
gegründet wurden.

Die Musikgesellschaft Nussbaumen, Gründung
«Kassenbuch für die Musikgesellschaft Nussbaumen». Es ist das uns erhaltene Gründungsdokument mit den ersten Eintragungen unter dem 30. August 1885 über Instrumentenkauf, Imbiss und Botengänge. Wir haben damit ein Dokument über das Aktivwerden des Vereins. Nichts haben uns die Gründer überlassen über die Zeit von der Idee bis zur Verwirklichung.

Musikgesellschaft Hertenstein
Gegründet im Dezember 1888 von zwei dissidenten Mitgliedern der Musikgesellschaft Nussbaumen. Leider besitzen wir von den Hertensteiner Musikanten keine schriftlichen Zeugnisse ihres Wirkens.

Vereint zur Musikgesellschaft Obersiggenthal
Beide Vereine waren sich bald den Nachteilen der Kleinformation bewusst. Ende 1892 bestellte man eine Kommission, die den Zusammenschluss vorbereitete und die Statuten verfasste. Auf 1. Januar 1893 trat die Fusion in Kraft. Elf Nussbaumer und neun Hertensteiner Musikanten fanden sich zur Musikgesellschaft Obersiggenthal. Gerungen wurde um das Gründungsdatum. Je älter, desto besser. Man einigte sich auf
den 30. August 1885.

Eidg. Musikfest Zug, 1923


Musikfeste, Musiktage
Auf Drängen des Dirigenten Hermann Birchmeier besuchte man 1900 den Kantonalen Musiktag in Döttingen. Aufgrund des guten Expertenberichtes reiste man 1901 nach Schöftland zum Aargauischen Kantonalmusikfest. Jeder Musiktag, jedes Musikfest ist ein besonderes Ereignis, die Prüfung des musikalischen Könnens. Nach dem alles fordernden Spiel vor den Experten folgt die Entspannung. Locker
geniesst man das Festleben.

Vereinsreisen
Die Reiselust ist dem Menschen angeboren. Reisen kostet Geld, Festbesuche ebenfalls. Oft war die Entscheidung Festbesuch oder Reise zu treffen. Bereits 1890 unternahm man einen Ausflug an den Hallwilersee.
 

Unterschiedliche Art zu reisen: 1910 überquerte man zu Fuss, beladen mit den Instrumenten von Andermatt aus, wo übernachtet wurde, den Gotthardpass nach Airolo. 1921 trat man bequem im Autocar sitzend die Reise nach Sankt Blasien an. 2008 lockte der Schwarzwald wieder. Im modernen Reisecar fuhr man zum Feldberg. Wandernd stieg man zum Gipfel auf, hielt Rast und genoss die weite Rundsicht. Eine idyllische Bootsfahrt auf dem Titisee, unterbrochen durch eine Kaffeepause mit Schwarzwäldertorte, krönte den Wochenendausflug. 

Die Fahnen 

1922, 37 Jahre nach der Vereinsgründung wurde die erste Fahne eingeweiht. Im Bannertuch befindet sich die Losung «In Freud und Leid zum Spiel bereit» eingestickt. 1958 musste die erste Fahne, deren Seide brüchig geworden war, ersetzt werden. Eine einfache kleine Symbolik, ein weit geschwungenes Horn in Silber, seitlich das Gemeindewappen in Gold auf rotem Grund, kennzeichnete diese Fahne. Viele Anlässe, Wind und Regen setzten der Fahne zerstörend zu. Mit einem würdigen Fest weihte man 1980 die dritte Fahne. Vom zweiten Banner übernahm man die Symbolik. Das ausladende Horn, das Gemeindewappen jetzt in der Mitte, beide in Silber auf rotem Grund. 

Uniformen 

Vereinsreise oder Uniform? Diese Anträge standen am 24. Juli 1895 zur Diskussion. Beschlossen wurde die Anschaffung von 23 Uniformen. Sechs Wochen später, am                  1. September, fand die Einweihung statt. Das neue Outfit war von brauner Farbe, den damaligen Offiziersuniformen nachgeahmt. Nach zwanzig Jahren abgetragen, verkaufte 

man die Hose für Fr. 2.–. 1922 verteilte man die Kittel an die Mitglieder. 

Da es an Geld mangelte, deckte man sich 1919 mit Hüten ein, um das einheitliche Erscheinungsbild bei Auftritten zu gewährleisten. Ab 16. Mai 1925 wurde die zweite Uniform getragen. Wieder gefiel die braune Farbe und der Offiziersschnitt 

war immer noch beliebt. 

1947. Die zweite Uniform musste dringend ersetzt werden. Das erfreuliche Ergebnis des Spendenaufrufes an die Bevölkerung sicherte die Finanzierung. Dunkelblau war die Uniform, die ab Mai 1948 getragen wurde. Mütze und Schnitt amerikanischen Modellen nachgestaltet. 

1968. Andere Zeiten, andere Farben. Zweifarbige Uniformen waren jetzt angesagt. Der Mode folgend kleidete sich der Verein in weinrote Vestons und schwarze Hosen, die Musikantinnen entschieden sich für das Tragen von Jupes. 





Uniform Musikgesellschaft Obersiggenthal 1990 - 2022


1989. Jahreskonzert und Uniformenmodeschau. Das Publikum durfte bestimmen, welche Uniform die Musik in Zukunft tragen soll. Sechs verführerische Modelle wurden präsentiert. Es siegte das in grau gehaltene mit rotem Gilet. Was sich auf der Bühne im Rampenlicht so elitär gezeigt hatte, wirkte im Freien, bei Tageslicht, auffallend blass, sich kaum vom Grau des Gemeindeplatzes abhebend. Nun entschieden allein die Träger der neuen Uniform. Dunkelblaue Zweireiher mit rotweissen Verzierungen und Gemeindewappen, blaue Hose mit mittelbreiten Streifen, blaue, flache Mütze, weisses Hemd und blau-grauweisse Krawatte, so der Geschmack und die Wahl des Vereins. Nicht alle weiblichen Mitglieder freuten sich, den Jupe wieder gegen eine Hose tauschen zu müssen. Eingeweiht wurde die fünfte Uniform am 17. Juni 1990 verbunden mit einem Musiktag.

Dirigenten
Keine Autos, keine Busse, deshalb stammten die Dirigenten der Vereinsfrühzeit aus der nächsten Umgebung, sechs waren Vereinsmitglieder, fünf stammten aus Baden.

Fridolin Bünter Trompeten-Instruktor, wohnhaft in Zürich, Kleinwagenbesitzer
Ende 1946. Fridolin Bünter suchte einen Musikverein, der sich gerne an Musikfeste wagte. Wir, in einer Dirigentenkrise steckend, erfuhren davon und nahmen Kontakt auf. Ende Januar 1947 dirigierte Bünter bereits unseren Verein und tat es mit Unterbrüchen ein vierteljahrhundert lang. Zwei Eidgenössische, fünf Kantonale Musikfeste, dazu zweiundzwanzig Musiktage sind die Bilanz der Feste. Aller Feste Krone wurde die Teilnahme am Internationalen Musikfest in Innsbruck. Der 1. Rang in der 1. Klasse, schwere Kompositionen, und die zweithöchste Punktezahl aller Teilnehmer, erfüllten Dirigenten und Musikanten mit stolzer Zufriedenheit. Fridolin Bünter liebte die Musik, noch mehr das Dirigieren.

Heidi Fischer, Berufsmusikerin
Akkordeonlehrerin in Zürich-Altstetten. Sie begeisterte sich für die Schönheit der Blasmusik, wurde Blasmusikantin, studierte an der Musikakademie Zürich Blasmusikdirektion mit Diplomabschluss. Am 7. April 1987 trat sie die nicht einfache Nachfolge von Fridolin Bünter an. Allzeit war ihre Liebe zur Musik spürbar, aufbauend ihre Konzertprogramme, Tradition und Moderne verbindend. Der grosse Erfolg, 1991 am Eidgenössischen Musikfest in Lugano, bestätigte ihre musikalischen Fähigkeiten. Gesundheitliche Probleme zwangen Heidi kürzer zu treten und ihre Tätigkeit als Blasmusikdirigentin aufzugeben. Das Jahreskonzert vom 25. März 1995 war zugleich ihr Abschiedskonzert. Mit Heidi Fischer verloren wir eine engagierte Dirigentin, die nicht leicht zu ersetzen war.

Von der Blechmusik zur Harmoniemusik
Die Gründer spielten in der Blechmusikbesetzung, wie bis 1944 die Militärspiele. Die Blechmusik, nicht zu verwechseln mit dem Brass-Band Import aus England, verwendete das schmiegsame, weich tönende Flügelhorn als führendes Melodieinstrument. Die  Blechmusiken waren in ländlichen Gegenden weit verbreitet, viele von ihnen mutierten zu Brass-Bands. Unsere Musikgesellschaft öffnete sich. Musikantinnen und Musikanten, die Holzblasinstrumente spielten und sich nach und nach zu uns gesellten. Gute zwanzig
Jahre dauerte es, bis wir das ideale Verhältnis, Holzregister-Blechregister, geschafft hatten.

Musikgesellschaft und Frauen

Musikbegabte Mädchen durften singen, Klavier, Violine oder Handharmonika spielen, aber
Trompete? 1956 schrieben wir einen Jungbläserkurs aus. Es meldete sich ein Mädchen, das
Trompete spielen wollte. Ein Mädchen in einer reinen Männergesellschaft, 1956 nicht vorstellbar. Versuchen wir es, meinte der Präsident.

1961 spielte die junge Frau mit. Weitere Frauen folgten, darunter auch karrierebewusste. 

Aus dem Kreis der Musikantinnen stammten bald Aktuarinnen, Kassierinnen, 1997 die erste Präsidentin, 2009 die zweite. Mittlerweile beträgt der Frauenanteil in der Musikgesellschaft nahezu fünfzig Prozent. 

Vielfalt der Blasmusik 

Die Blasmusik gehört eigentlich zur Freiluftmusik. Openair 1885? Wer erinnert sich noch an die fröhlichen Gartenfeste mit Glücksrad, Jasstisch, Kegelbahn und Tanzbühne, die Umzüge an Jugend- und Vereinsfesten oder an die feierlichen Fronleichnamsprozessionen? Schon die Gründer wurden zu aller Art Festen und Feiern gerufen, spielten Unterhaltungsmusik und anschliessend zum Tanz auf. 

Die Blasmusik eignet sich vorzüglich zum Spiel im Freien. Was aber in der kalten Jahreszeit? Dann werden Konzerte gegeben mit ernsten und heiteren Kompositionen. Am 1. Februar 1890 fand im Sternensaal zu Nussbaumen das erste Jahreskonzert der Vereinsgeschichte 

statt. Als 1924 der Sternensaal in Wohnungen umgebaut wurde, mussten die Konzerte in die Aula des Bachmattschulhauses verlegt werden. Erlösung von diesem bedrückenden Zustand brachte der Bau der Turnhalle Bachmatt, 1923 eine Pionierleistung der Gemeinde. Weitherum wurde unsere Musikgesellschaft beneidet, die auf einer weiten Bühne, umgeben von Kulissen, eine ländliche Gegend darstellend, konzertieren durfte. 

Traditionen gehen, neue entstehen 

Einst fanden in Kirchdorf auf dem Dorfplatz sommerliche Abendkonzerte statt, dann am Fastnachtsamstag der Musikantenball, der nach drei Jahrzehnten dem gesellschaftlichen Wandel zum Opfer fiel. Wie weiter in Kirchdorf? Die Lösung: Kirchenkonzerte. 1982 am          1. Adventssonntag wurde mit Erfolg die Kirchenkonzerttradition eröffnet, eine Hommage an die Kirchdorfer Bevölkerung.

125 Jahre Musikgesellschaft, ein grosses, würdiges Jubiläum. 

2012 werden zwei kleinere folgen: 30 Jahre Kirchenkonzerte, 80 Jahre Turnhalle-Gemeindesaal. 


Wo immer Feste sich ereignen,
Redner auf die Pulte steigen,
die Blasmusik ist mit dabei,
was wäre ohne sie, die ganze Festerei. 




Musikgesellschaft Obersiggenthal im Wandel der Zeit

Die Zeit nach 2010 war geprägt durch diverse Veränderungen. Geschwächt durch altersbedingten Mitgliederschwund und vorerst wenigen Neuzugängen stellte sich die Frage wie weiter. Dazu kam noch eine durch Corona bedingte Pause von gemeinsamen Proben und Anlässen. 

2021 wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, welche sich mit der Frage, "Wie weiter mit der MGO", auseinandersetzte. An einer ausserordentlichen GV am 3. September 2021wurde dem Verein ein neues Konzept vorgeschlagen und von den Mitgliedern einstimmig angenommen:

Neuer Name, "Musig Obersiggenthal"; Vorstand reduzieren auf 3 Mitglieder; anschaffen einer neuen "Uniform" (einheitliches Vereinstenue); neues Logo. Das sind kurz zusammengefasst die wesentlichsten Änderungen.